Samstag, 10. Oktober 2009

Gedichtvergleich

„Der Spinnerin Lied“ und „Sehnsucht“

Die Gedichte „Der Spinnerin Lied“ von Clemens Bretano und „Sehnsucht von J.F. von Eichendorff stammen beide aus der Epoche der Romantik. Ein zentrales Thema der Romantik ist die verzweifelte und vergebliche Suche nach Einheit und Harmonie. Aus der Erinnerung verlorenen Glücks soll durch schmerzvolle Trennung wieder neues Glück entstehen. Ich werde die Gedichte nun jeweils interpretieren, vergleichen und dabei Unterschiede und Gemeinsamkeiten ansprechen.

Das Kunstlied „Der Spinnerin Lied“ besteht aus 6 Strophen zu jeweils 4 Zeilen, mit umarmenden Reimen (abba, cddc). Syntaktisch auffällig ist, dass alle Strophen außer die letzte mit Satzbau oder Enjambement verbunden sind. Die letzte Strophe besteht aus vier kurzen Hauptsätzen, die wie ein Stillstand vor dem eigentlichen Schluss des Gedichtes wirken. Das Gedicht lässt sich in zwei Abschnitte teilen. Nämlich erstens: die erste, dritte und fünfte Strophe. Diese Strophen sind von Assonanzen des „a’s“ geprägt, die in der romantischen Klangtheorie als vergangenes Glück gelten, das man nicht mehr zurückgewinnen kann. Das lyrische Ich singt auch offenbar inhaltlich von der Erinnerung an die Vergangenheit. Der zweite Abschnitt- die zweite, vierte und sechste Strophe- hat eine starke Assonanz des „ei“. Ei-Verse sprechen für die Sehnsucht und Hoffnung auf eine glückliche Vereinigung in der Zukunft. Bretano hat die Szene des wartenden Mädchens am Spinnrad oft verwendet. Es steht für die Monotonie der Arbeit am Spinnrad während des Wartens. So wird das Spinnrad auch zum Rad der Zeit, weil die Sehnsucht ungestillt bleibt.

„Sehnsucht“ von J.F. von Eichendorff wird im Roman „Dichter und ihre Gesellen“ von Fiametta vorgesungen, die ihre Sehnsucht nach der italienischen Heimat ausdrückt. Dieses Kunstlied im Volksliedton besteht aus drei Strophen mit je acht Zeilen und Kreuzreimen (ababcdcd). Auf den ersten Blick lässt sich das Gedicht in zwei Hälften teilen. Nämlich von der ersten bis zur zwölften Zeile, wo das lyrische Ich am Fenster steht. Und nach dem Doppelpunkt fortan, wo die wandernden Gesellen singen. Doch genauer betrachtet kann man das Gedicht in das es-Gedicht (1. Verszeile), das ich-Gedicht (die restliche erste Strophe) und das sie-Gedicht (zweite-dritte Strophe) unterteilen. Das es-Gedicht beschreibt den Menschen zwischen kosmischer und irdischer Natur, das ich-Gedicht zwischen Einsamkeit und Gemeinschaft und das sie-Gedicht zwischen Einsamkeit und Gemeinschaft. Hier steht die Einsamkeit des „ich einsam“ im Gegensatz zur Zweisamkeit der wandernden Gesellen. Die beschriebene italienische Landschaft bezieht sich nicht wirklich auf einen realen geographischen Ort, sondern viel eher auf ein „Land der Sehnsucht und Poesie“, oder auf die „Kunstheimat“. Das Bild und Motiv des Fensters („am Fenster ich einsam stand“) ist prägend für die Romantik. Das Fenster (oder auch die Tür) steht für eine Grenze zwischen Bewusstsein und Welt, Ich und Du, oder in diesem Fall Verlorenheit und Heimat. Durch das Fenster gelangen Eindrücke und Reize in das Zimmer. Doch die Grenze zwischen Mensch und Natur wird bewahrt, trotzdem besteht immer die Gefahr einer Verschmelzung.

Die beiden Gedichte haben ein grundlegendes Thema der Romantik gemeinsam, nämlich die Einsamkeit und die Sehnsucht nach Einheit. In Bretanos „Der Spinnerin Lied“ sehnt sich das lyrische Ich offenbar nach einem verstorbenen Geliebten („Gott wolle uns vereinen“). Es schwelgt im Glück der Vergangenheit während die gegenwärtige Situation am Spinnrad beschrieben wird, das für das einsame Warten steht. In Eichendorffs „Sehnsucht“ dagegen verzehrt sich das lyrische Ich nicht nach einem Geliebten, sondern mehr nach der italienischen Heimat, die „ein Land der Sehnsucht und Poesie“ repräsentiert.

Gleichfalls lässt sich erkennen, dass beides Kunstlieder im Volksliedton sind. Kunslieder beschreiben ganz persönliche Eindrücke des Menschen. Volkslieder dagegen sind sprunghaft: So springt Bretanos „Der Spinnerin Lied“ inhaltlich auf jede zweite Strophe. Bei Volksliedern sind zudem Wiederholungen nicht selten, die bei beiden Gedichten aufzuzeigen sind. Bei „Der Spinnerin Lied“ wiederholt sich „Gott wolle uns vereinen“, sowie „Da wir zusammen waren“. In „Sehnsucht“ wird „In der prächtigen Sommernacht“ nochmals gesungen.

Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Harmonie in der Vergangenheit. Die Assonanzen des „a’s“ häufen sich in beiden Gedichten. Nach der romantischen Klangtheorie stellen a-Verse reines Glück (reines a) dar, welches nur in einer fernen Vergangenheit möglich ist, an das man sich erinnern kann, aber nicht zurückgewinnen kann. In „Der Spinnerin Lied“ ist das Glück der Vergangenheit der verstorbene Geliebte. Im Vergleich dazu beschreibt „Sehnsucht“ das Verlangen nach Heimat.

Schlussendlich kann man in Erfahrung bringen, dass die beiden aus der Epoche der Romantik stammenden Gedichte im Stil des Kunstlieds mit Motiven des Volkslieds geschrieben wurden. Sie behandeln beide prägende Motive der Romantik: Sowohl die Sehnsucht nach der Einheit, als auch die Harmonie der Vergangenheit. Persönlich besser gefallen hat mir „Der Spinnerin Lied“ von Brentano, da ich mich gut in den Inhalt des Gedichtes hineinversetzten konnte. Andererseits hat Eichendorffs „Sehnsucht“ mit der Beschreibung der italienischen Heimat auch seine Schönheit.